Univ.-Prof. Leopold Neuhold über das Sterbeverfügungsgesetz

Der Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen und das Suchtmittelgesetz sowie das Strafgesetzbuch geändert werden, ist zur Begutachtung ausgesendet. Damit wird dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, der die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ in § 78 StGB mit Wirkung ab 1.1.2022 als verfassungswidrig aufgehoben hat, Folge geleistet. Bis dahin ist es ausnahmslos strafbar, jemandem bei dessen Selbsttötung Hilfe zu leisten.

Paragraf 6 dieses Entwurfes lautet: „§ 6. (1) Die sterbewillige Person muss sowohl im Zeitpunkt der Aufklärung (§ 7) als auch im Zeitpunkt der Errichtung der Sterbeverfügung (§ 8) volljährig und entscheidungsfähig sein. Die Entscheidungsfähigkeit muss zweifelsfrei gegeben sein.

(2) Der Entschluss der sterbewilligen Person, ihr Leben zu beenden, muss frei und selbstbestimmt, insbesondere frei von Irrtum, List, Täuschung, physischem oder psychischem Zwang und Beeinflussung durch Dritte gefasst werden.

(3) Eine Sterbeverfügung kann nur eine Person errichten, die 1. an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder 2. an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen; wobei die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringt.

(4) Die Hilfe leistende Person darf nicht mit der Person ident sein, die die Aufklärung (§ 7) leistet oder die Sterbeverfügung dokumentiert (§ 8)“

 

Die vom VfGH geforderten Sicherungsinstrumente zur Verhinderung von Missbrauch wurden somit in den Entwurf eingearbeitet, damit die angesprochene freie Selbstbestimmung gegeben ist und die Entscheidung nicht unter Einfluss einer dritten Person getroffen wird. Die im Entwurf vorgesehenen Mittel, um festzustellen, dass es sich um einen nicht bloß vorübergehenden, sondern einen dauerhaften Entschluss handelt, sind verantwortlich gewählt (etwa Aufklärung durch zwei ärztliche Personen, die Sterbeverfügung wird erst frühestens 12 Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung wirksam, Werbeverbot und Verbot wirtschaftlicher Vorteile), obwohl nicht jeglicher Missbrauch ausgeschlossen werden kann.

Dazu nun einige kurze Anmerkungen.

  1. Die Änderung der Formulierung von Mitwirkung am Selbstmord zu Mitwirkung an der Selbsttötung weist schon auf eine veränderte Sicht des Suizids hin: Die Bewertung als Mord wird fallengelassen, eine neutralere Sicht dieser Tat durch die Bezeichnung Selbsttötung ermöglicht. Dabei ist es interessant, dass von einer heute oft gegebenen Sicht der Selbsttötung als Krankheit abgegangen wird, weil eine bewusste Entscheidung zur Tat als Grundlage für die Mitwirkung gefordert ist. Es stellt sich die Frage, ob nicht ein schwerer Krankheitsverlauf die Selbstbestimmung beeinträchtigt. Zudem ist fraglich, ob durch die Ermöglichung der Mitwirkung an der Selbsttötung nicht die Tür zur Beeinflussung des Sterbewilligen wenigstens einen Spalt geöffnet wird.
  2. Der Begriff Sterbeverfügung suggeriert, dass das Leben ein Gut ist, über das man wie über andere, insbesondere materielle, Güter verfügen kann und die mit dem Gut Leben gegebene Verpflichtung, es zu erhalten, nicht so wichtig wäre. Hier wäre es aus ethischer Sicht besser, von einer Straffreiheit, nicht von einem Recht zu sprechen. Eine bloße Freistellung der Mitwirkung an der Selbsttötung von Strafe würde einen verschärften Blick auf die Tat selbst und ihre Bewertung erfordern, etwas, was dem hohen Gut Leben angemessener ist.

  3. Es ist immer der Unterschied zwischen Ethik und Recht zu bedenken. Recht muss zwar das Mindestmaß an Ethik, das für ein Zusammenleben der Menschen notwendig ist, definieren, Ethik kann und muss in vielen Fällen aber über dieses Minimum hinausgehen. Das Gesetz muss also den Raum offenlassen, in dem sich eine über die Forderungen des Rechts hinausgehende Ethik umsetzen lässt. So ist keiner und keine, etwa kein christliches Krankenhaus, gezwungen, an der Selbsttötung von Menschen mitzuwirken. Die Ethik fordert im Gegenteil, jeden möglichen Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen nicht in die Entscheidung, einen Suizid zu wählen, gezwungen werden. Der im Gesetzesentwurf genannte Ausbau der Palliativmedizin oder die Förderung der Hospizarbeit sind solche Elemente der Förderung einer Kultur des Lebens auch im Sterben. Die sogenannten flankierenden Maßnahmen gilt es ganz bewusst einzufordern und dann auch entsprechend zu fördern.

  4. Der Wert der Selbstbestimmung ist ein sehr wichtiger Wert, er ist aber nicht schrankenlos. Die Autonomie in Bezug auf Sterben wird begrenzt durch das in der Natur gelegene Entwickeln, auch im Blick auf das Sterben, auf Vorgaben in der Natur, die einem Denken in absoluter Machbarkeit entgegensteht, und vor allem auch im Blick auf das Leben nach dem Leben. Eine Kultur des Lebens auch im Sterben sieht das Sterben als einen wichtigen Teil des Lebens, was dazu anspornt, im Kampf gegen den Tod nicht auf die Gestaltung und Begleitung des Sterbens zu vergessen, was auch in einer entsprechenden Aufteilung der Mittel, die für die Phase des Sterbens und den Tod aufgebracht werden, eine Balance finden muss. Leben ist – auch in den bedrückendsten Situationen – nie lebensunwert.

  5. In der Presse ist auf der einen Seite davon die Rede gewesen, dass der Damm gegen die sogenannte aktive Sterbehilfe mit diesem Gesetzesentwurf hält, auf der anderen Seite ist argumentiert worden, dass mit der Ermöglichung der Beihilfe zum Suizid ein Dammbruch auf aktive Sterbehilfe hin stattfindet. Beide Argumentationslinien sind ernst zu nehmen. Mit der Beihilfe zur Selbsttötung ist der Lebensschutz durchlöchert, auch um der aktiven Tötung durch andere einen Riegel vorzuschieben, gerade wenn man die sehr strengen Bedingungen für die Mithilfe zum Suizid beachtet. Auf der anderen Seite muss man sich aber fragen – und manche der angesprochenen Fälle in der Diskussion um das neue Gesetz gingen in die Richtung -, ob nicht bald wieder ein Gang zum Höchstgericht angetreten wird. Dies kann etwa im Fall , dass das Mittel, das zur Selbsttötung bereit gestellt wird, nicht vom zur Selbsttötung Bereiten eingenommen oder sonst wie appliziert werden kann, weil die körperlichen Fähigkeiten dazu nicht gegeben sind. Es stell sich in solchen Fällen die Frage, ob nicht im Sinne des Gleichheitsgebotes von einer Diskriminierung derer, die nicht die Fähigkeit aufbringen, das Mittel sich selbst zuzuführen, gesprochen werden kann und dann die aktive Tötung durch andere ermöglicht werden soll.

  6. Gerade angesichts des Todes und Sterbens ist zu bedenken, dass Prinzipien und Gesetze sehr wichtig sind, dass diese immer aber auch an die Grenze stoßen. Damit ist jede Ethik auch Situationsethik, die sich von der konkreten Situation befragen lassen muss und die auch in einer Herausforderung eines Ausnahmezustandes steht, der nicht durch klare rechtliche Regelungen, wohl aber durch das konkrete Ziel der Förderung des hohen Gutes des Lebens bestimmt werden kann. Diese Situation bringt es mit sich, zwischen Tat und Täter unterscheiden zu müssen, damit nicht eine notwendige Verurteilung der Tat zur Verurteilung dessen, der das Mittel anwendet oder es bereitstellt, führt.

Um dieses Gesetz zu einem Instrument der Humanisierung des Sterbens zu gestalten, wird es in der Gesellschaft einer vertiefenden Auseinandersetzung mit Sterben und Tod bedürfen, einer Auseinandersetzung, die im Sterben einen wichtigen Abschnitt menschlichen Lebens sieht.